72 Stunden – Eine Anklage
Alle 72 Stunden stirbt in Italien eine Frau durch die Hand eines Mannes. Zum größten Teil werden die Morde von Partnern, Ex-Partnern oder Bekannten ausgeübt (Quelle: ANSA 2021: von 116 Opfern geschahen 100 Femizide im engen Familien- oder Freundeskreis)
Wie kann es sein, dass in so kurzen Abständen immer und immer wieder Frauenmorde passieren, sodass man auf keinen Fall von Einzelfällen sprechen kann? Gibt es einen roten Faden, der sich durch die verschiedenen Vorfälle zieht? Diese Fragen versuchte das Theaterstück angelehnt an einen Frauenmord bei uns in Südtirol aufzuarbeiten.
Eine kleine Gruppe von älteren Jugendlichen nahm dies zum Anlass, gemeinsam mit dem JuZe einen Ausflug ins Altstadttheater Meran zu einer der Aufführungen zu machen.
Das Theater war bis auf den letzten Platz gefüllt und auf der Bühne waren Vorrichtungen mit vielen Fäden angebracht. An der Decke hing eine Zeitangabe, welche mit Beginn des Stückes die 72 Stunden in bedrückender Art und Weise rückwärts zählte. Das Stück benötigte nicht mehr als 5 Personen um das gesamtgesellschaftliche Versagen aufzuzeigen. „Eva“, das stumme Mordopfer, wurde innerhalb des Stückes wie eine Marionette an verschiedenen Fäden an Armen, Rücken und Beinen mal dort und mal hier „drapiert“. Die anderen vier Schauspieler:innen schlüpften in unterschiedlich involvierte Personen:
Protagonist:innen im Stück waren:
Eine Nachbarin: einmal gut befreundet und dann doch nicht so bekannt mit dem Opfer, je nachdem mit wem sie spricht
Priester: kennt den Täter, weiß viel von ihm und seinen Gedanken (unter anderem Gewaltphantasien) – beruft sich aber auf die Schweigepflicht
Ordnungskräfte: sehen ihre Pflicht erfüllt, da sie ja ein Annäherungsverbot ausgesprochen haben.
Politische Vertreter: geben ihre Vorstellung eines rückständigen Frauenbildes an die Presse weiter und versuchen dadurch das Verhalten des Täters zu entschuldigen
Journalist: durch reißerische Schlagzeilen und Artikel sorgt er für eine Täter-Opfer-Umkehr
Anwältin: Nicht-Handeln bzw. Verzögern des Prozesses (aufgrund fehlenden Geldmittel des Opfers)
Alle involvierten Personen stehen nicht gerade in einem guten Licht da – eine Kritik, die man hier sicherlich üben kann. Aber dieses Stück soll ja auch aufrütteln und zum Nachdenken anregen. Den einzelnen Akteur:innen kann augenscheinlich keine Mittäterschaft im eigentlichen Sinne unterstellt werden – und doch… auf einer bestimmten Art und Weise ist niemand ganz unschuldig am Tod von „Eva“.
Es war kein leicht verdauliches Theaterstück und doch war unsere Gruppe sehr beeindruckt von der Umsetzung des Stückes und diskutierte im Anschluss noch eine ganze Weile über die aufgezeigten strukturellen Schwächen unseres Gesellschaftssystems.
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